Ehrendoktor für Seehofer – Tierversuche im Labor? Uni Augsburg in der Kritik
Premiere! Die Universität Augsburg verleiht zum allerersten Mal einen Ehrendoktortitel. Der bayerische Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer hat die akademische Auszeichnung von der Medizinischen Fakultät am 21. Juli 2025 erhalten – weil er sich für den Aufbau der Universitätsmedizin Augsburg starkgemacht hat. Neben Lobeshymnen und minutenlangen Standing Ovations gibt es aber auch Kritik. Hier erfährst du die Hintergründe dazu und wieso nicht alle den ersten Ehrendoktor der Uni Augsburg feiern.
Inhalte im Überblick
- Wofür hat Seehofer den Ehrendoktor erhalten?
- Was ist ein Ehrendoktor?
- Kritik an Seehofer
- Kritik an Tierversuchen
- Faktencheck: Forschung ohne Tierversuche
- Umfrage: Sind Tierversuche nötig?
Wofür hat Horst Seehofer die Ehrendoktorwürde erhalten?
Als Politiker hat sich Horst Seehofer entscheidend für den Aufbau der Medizinischen Fakultät an der Uni Augsburg eingesetzt.
Die Medizinische Fakultät der Universität Augsburg würdigt mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde das lebenslange Wirken von Horst Seehofer für die Gesundheitsversorgung, die medizinische Forschung und Nachwuchsförderung und für die Gesundheitsstrukturpolitik.
Seehofer gilt als politischer Gründungsvater der Universitätsmedizin. 2009 hatte er „Die Uni-Klink kommt!!!“ ins Goldene Buch der Stadt Augsburg geschrieben und damit den Startschuss für das Großprojekt gegeben. Seinem Engagement und seiner Durchsetzungskraft sei es zu verdanken, es die Universitätsmedizin in Augsburg heute gibt.
Der CSU-Politiker Horst Seehofer war von 2008 bis 2018 bayerischer Ministerpräsident. Außerdem war er von 1980 bis 2008 Mitglied des Deutschen Bundestags und in vier Bundesregierungen als Minister in verschiedenen Ämtern tätig.
Besonders gelobt wurde, dass Seehofer Themen wie Ärztemangel und regionale Gesundheitsversorgung früh auf dem Schirm hatte und den Aufbau der Medizin an der Uni Augsburg auf politischer Ebene ordentlich gepusht hat. Damals gab es in ganz Schwaben keine einzige Universitätsklinik. Das wollte Seehofer ändern. Dafür musste er sich jahrelang gegen viele Widerstände durchsetzen – und hatte letztlich Erfolg.
Die Timeline: 2016 wurde die Medizinische Fakultät an der Uni Augsburg gegründet. Seit dem 1. Januar 2019 ist das ehemalige Klinikum Augsburg offiziell Universitätsklinikum. Im Wintersemester 2019/2020 starteten die ersten Student:innen das Medizinstudium. Im Wintersemester 2024/2025 gab es bereits über 700 Studis und rund 30 Profs an der Fakultät – Tendenz steigend.
Doppelte Ehre: Seehofer ist nicht nur Ehrendoktor der Uni Augsburg. 2019 ernannte ihn die Stadt Augsburg bereits zum Ehrenbürger. Auch diese Auszeichnung gab es für sein beharrliches Ja zur Uniklinik.
Was ist ein Ehrendoktor?
Wenn eine Universität oder eine Fakultät eine Person besonders würdigen möchte, kann sie einen Doctor honoris causa (Latein für „Doktor ehrenhalber“) verleihen. Das besondere: Der Ehrendoktortitel kann auch an Leute außerhalb der Wissenschaft vergeben werden. Man braucht dafür weder Bachelor noch Master, eine Doktorarbeit im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Seehofer selbst war zum Beispiel nie Student. Wichtig: Ein Ehrendoktor ist kein akademischer Grad. Im Ausweis wird die Ehrendoktorwürde als "Dr. hc.„ oder “Dr Eh." eingetragen, bei Leute mit akademischem Grad steht nur „Dr.“ ohne Zusatz.
Wieso gibt es Kritik am Ehrendoktor für Horst Seehofer?
Eine Uniklinik für Augsburg und neue Studienplätze für Medizinstudent:innen – das klingt erstmal toll. Ist auf jeden Fall ein super Erfolg für unsere Stadt und unsere Uni – keine Frage. Trotzdem feiern nicht alle, dass ausgerechnet Horst Seehofer der erste Ehrendoktor der Uni Augsburg ist. Wir schauen uns genauer an, wieso es kritische Stimmen gibt. Hauptsächlich geht es um zwei Streitpunkte: die Rolle von Horst Seehofer als Politiker und Tierversuche an der medizinischen Fakultät.
Kritik an Horst Seehofers Politik
Horst Seehofer war nicht nur 10 Jahre lang Bayerns Ministerpräsident. Auf Bundesebene hat er viele Jahre lang als Minister in verschiedenen Ämtern und Abgeordneter des Deutschen Bundestags wichtige politische Entscheidungen getroffen. Nicht überall kamen die Meinungen und Aussagen des konservativen CSU-Politikers gut an.
Kritik an Seehofer gibt es unter anderem deshalb:
- Vergewaltigung in der Ehe: 1997 stimmte Seehofer im Bundestag dagegen, die Vergewaltigung in der Ehe härter zu bestrafen.
- Migrationspolitik: Seehofer polarisierte immer wieder mit seinen Aussagen zum Thema Migration. Er sagte zum Beispiel, Deutschland könne nicht das Sozialamt für die ganze Welt sein, forderte eine „Obergrenze“ für die Aufnahme von Flüchtlingen, sagte, der Islam gehöre nicht zu Deutschland und bezeichnete die Migrationsfrage als „Mutter aller politischen Probleme in unserem Land.“
- Absage von Studie über Racial Profiling bei der Polizei: Als Innenminister cancelte Seehofer eine bereits angekündigte Studie über rassistische Personenkontrollen bei der Polizei. Er sehe „keinen Bedarf“ an so einer Untersuchung, da so eine Praxis ohnehin verboten sei.
Puh, schwierig. Deshalb sind nicht alle glücklich darüber, dass die Uni Augsburg ihre erste Ehrendoktorwürde an Seehofer verleiht. Schließlich ist ein Ehrendoktor eine ganz besondere Auszeichnung und symbolisiert eine große Nähe zwischen Uni und gewürdigter Person. Fest steht zumindest: Ohne Seehofer würde es die Medizinische Fakultät in Augsburg heute wohl nicht geben.
Kritik wegen Tierversuchen an der Medizinischen Fakultät
In Augsburg gab es lange keine Tierversuche. Doch dann der Schock für Tierschützer:innen: Mit den Plänen für den Aufbau des neuen Medizin-Campus wurde bekannt, dass dort Tierversuchslabore gebaut werden sollen. Sofort wurden Proteste laut: Mit einer Online-Petition, Großdemos und regelmäßigen Mahnwachen wurde versucht, Tierversuche an der Uni Augsburg zu verhindern. Das blieb erfolglos. Auch ein offener Brief an das Bayerische Staatsministerium zeigte keine Wirkung: Die Uni blieb hart – Tierversuche seien für die Forschung unverzichtbar.
Im Herbst 2023 wurde ein Interimslabor für Tierversuche im Sigma-Park in Betrieb genommen. Auf 250 qm werden dort über 300 Mäuse und 19 Ratten gehalten. Erforscht werden physiologische und pathologische Prozesse im Nervensystem genetisch veränderter Mäuse. Heißt im Klartext: Anhand der Mäuse soll rausgefunden werden, wie Gehirn und Nerven gesunder Mäuse funktionieren – und was genau schiefläuft, wenn Krankheiten entstehen. Die Versuchstiere werden für Forschungszwecke und für die Aus- und Weiterbildung von medizinischem Personal eingesetzt.
Die medizinische Fakultät der Uni Augsburg sagt dazu:
Die Zellen in jedem Organismus bilden [...] ein komplexes Netzwerk, in dem jede Änderung anderswo eine Reaktion hervorrufen kann. Um dieses Netzwerk zu untersuchen und zu verstehen, benötigt die Forschung daher Methoden, die von einzelnen Molekülen über Zellen und Organe bis hin zu ganzen Organismen reichen. Neben vielen weiteren Methoden schließt das auch die Arbeit mit Versuchstieren ein [...]. Aus diesem Grund verfügen alle universitätsmedizinischen Standorte in Deutschland über Einrichtungen zur Versuchstierhaltung.
Darauf entgegnet der Verein Ärzte gegen Tierversuche:
Bayerns Politik [...] setzt in einer Zeit, in der tierversuchsfreie Methoden enorme Erfolge verzeichnen, immer noch auf die zunehmend wissenschaftlich kritisierte Methode Tierversuch. Anstatt Steuergelder sinnvoll in moderne, zukunftsorientierte Forschungsverfahren zu stecken, wird in Augsburg das veraltete System Tierversuch eingeführt. So wird die Chance vertan, an der neuesten Medizinischen Fakultät Deutschlands auch die neuesten humanbasierten und- relevanten Methoden zu erforschen und zu etablieren.
Das neue Tierversuchslabor am medizinischen Campus der Universität Augsburg soll bis 2030 fertig sein. Rund 35 Millionen Euro fließen in den Bau der 1640 qm großen Einrichtung. Dort wird es neben Mäusen und Ratten auch Haltungsmöglichkeiten für Kaninchen, Schweine, Schafe, Ziegen und aquaische Lebewesen, also Wassertiere bieten. Forschung an Primaten (Affen) wird explizit ausgeschlossen.
Wichtig für Studis: Keine Angst – als Medizinstudent:in an der Uni Augsburg musst du keine Tierversuche machen. Nur Profs führen die Versuche für ihre Forschung durch. Ausnahme: Doktorand:innen, die für ihre Promotion Tierversuche machen wollen.
Faktencheck: Ist moderne medizinische Forschung ohne Tierversuche möglich?
Pro Tierversuche – das sagen Befürworter:innen:
Komplexe Zusammenhänge nur im lebenden Organismus testbar
Viele Krankheitsprozesse betreffen mehrere Organe oder das Immunsystem als Ganzes. Nur Tierversuche erlauben es, diese systemischen Wechselwirkungen realistisch zu untersuchen (z. B. bei Alzheimer oder Autoimmunerkrankungen).Vorgeschrieben in der Medikamentenzulassung
In der EU und Deutschland sind Tierversuche für bestimmte Sicherheits- und Toxizitätstests gesetzlich vorgeschrieben, besonders bei neuen Medikamenten oder Chemikalien.Standardisierte Modelle mit Vergleichbarkeit weltweit
Für viele Erkrankungen existieren etablierte Tiermodelle (z. B. Mausmodelle für MS oder Parkinson), die über Jahrzehnte validiert wurden und eine globale Vergleichbarkeit ermöglichen.Ethische Kontrolle und Reduktionsprinzipien
In Deutschland gelten die 3R-Prinzipien (Replace, Reduce, Refine). Jeder Versuch muss einzeln genehmigt, begründet und auf das notwendige Maß beschränkt werden.
Contra Tierversuche – so argumentieren Kritiker:innen:
Schlechte Übertragbarkeit auf den Menschen
Zahlreiche Studien zeigen, dass viele Ergebnisse aus Tierversuchen nicht auf den Menschen übertragbar sind. Besonders in der Medikamentenentwicklung liegt die klinische Erfolgsquote bei unter 10 %.Moderne Alternativen sind auf dem Vormarsch
Technologien wie Organchips, 3D-Zellkulturen und KI-gestützte Simulationen bieten bereits heute realistischere Daten für die menschliche Biologie – besonders bei Haut-, Leber- und Herzmodellen.Rechtlicher Wandel im Gange
In den USA dürfen Medikamente seit dem FDA Modernization Act 2.0 auch ohne Tierversuche zugelassen werden, wenn zuverlässige Alternativdaten vorliegen. Auch die EU fördert aktiv tierversuchsfreie Verfahren (sogenannte NAMs – New Approach Methodologies).Ethische Bedenken
Millionen Tiere sterben jährlich in Laboren, oft nach belastenden Eingriffen. Kritiker:innen wie der Verein Ärzte gegen Tierversuche fordern ein grundsätzliches Umdenken: Forschung müsse sich an menschlicher Biologie orientieren – nicht an der von Mäusen oder Ratten.
Fazit: Sind Tierversuche heute noch nötig?
Seit ihrer Gründung steht die medizinische Fakultät der Uni Augsburg in der Kritik, vor allem wegen geplanter und laufender Tierversuche mit genetisch veränderten Mäusen.
Die Uni verteidigt das Vorgehen: Um Krankheiten wie Alzheimer oder Epilepsie besser zu verstehen, brauche es Versuche am lebenden Organismus. Jeder Versuch sei genehmigungspflichtig, werde ethisch geprüft und auf das Nötigste beschränkt.
Ganz anders sieht das der Verein Ärzte gegen Tierversuche. Er fordert: Statt Millionen in Labore für Mäuse und Ratten zu investieren, solle die Uni auf moderne, tierversuchsfreie Methoden wie Organchips, Computermodelle oder menschliche Zellkulturen setzen. Diese seien nicht nur ethischer, sondern laut Verein oft auch wissenschaftlich zuverlässiger – weil sie direkt auf den Menschen übertragbar seien.
Die Frage bleibt: Ist Tierleid in der Forschung noch notwendig? Sag uns deine Meinung in der Umfrage.
(Uni Augsburg/Ärzte gegen Tierversuche/ Tierversuche verstehen/ Dt. Tierschutzgesetz/ MJ)