Einmal arm, immer arm?
Knapp 13 Millionen Menschen in Deutschland gelten als arm und von den anderen ist jede:r fünfte von Armut gefährdet. Besonders betroffen sind dabei junge Menschen. Aber was genau gilt als ‚Armut‘, welche Faktoren führen dazu, welche Folgen kann sie haben und wie bricht man aus ihr aus? Wir beschäftigen uns damit und zeigen dir, wie du es als Betroffene:r schaffen kannst, aus dieser unguten Lage wieder rauszukommen.
Was ist Armut?
Als absolute Armut ist dabei ein Zustand definiert, in dem sich ein Mensch die Befriedigung seiner wirtschaftlichen und sozialen Grundbedürfnisse nicht leisten kann. Relative Armut beschreibt Armut im Verhältnis zum jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld eines Menschen.
Wer in Armut lebt, kann seine Grundbedürfnisse nicht stillen. Das betrifft nicht nur die biologischen Bedürfnisse wie Nahrung, Wasser, Schlaf sowie Schutz durch Kleidung und Wohnen. Auch die psychologischen Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Selbstwertgefühl und die Kontrolle über das eigene Leben leiden, denn alles dreht sich ums Geld oder eben darum, nicht genug davon zu haben, also muss man ‚sparen‘ bzw. verzichten und das andauernd. Kein guter Zustand, weder für den Körper noch für die Psyche. Es ist also nicht überraschend, dass anhaltende Armut krank machen kann.
Als ’arm’ gilt in Deutschland, wer als Single mit eigenem Haushalt monatlich weniger als 1381 Euro netto zur Verfügung hat oder als vierköpfige Familie weniger als 2900 Euro. Die größte Gruppe der von Armut betroffenen Menschen sind derzeit die 18- bis 24-Jährigen, um genau zu sein 24,8 % davon, also grob jede:r Vierte.
Besonders Studierende haben es gerade schwer ihre laufenden Kosten zu decken, denn mehr als die Hälfte muss mit einem Netto-Monatseinkommen von unter (!) 867 Euro auskommen, was weit unter der Armutsgrenze liegt. Nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.
Was sind die häufigsten Gründe für Armut?
Jetzt kommt die Krux: Armut kann in der Theorie jede:n von uns treffen, denn die Ursachen dafür können wirklich sehr unterschiedlich sein und sich natürlich auch gegenseitig bedingen:
- familiäre Ereignisse: Tod oder schwere Erkrankung von Familienmitgliedern, im schlimmsten Fall von der/die Versorger:in.
- allgemeine Krisen: wirtschaftliche Engpässe, die zu Unternehmensschließung oder zu Entlassungen führen, Inflation, Naturkatastrophen, für deren Beseitigung man sich bspw. verschulden muss.
- gesundheitliche Faktoren: Unfälle, (chronische) Krankheiten, Berufsunfähigkeit oder auch Suchterkrankungen, die länger dafür sorgen, dass man selbst oder der/die Versorgerin einen längeren Zeitraum oder gar nicht mehr arbeitsfähig ist.
- ‚Vererbung‘ von Armut: wächst man in einer finanziell unstabilen Familie auf, kann das in vielen Fällen dazu führen, dass man als Erwachsene:r selbst einmal ‚arm‘ wird. Dazu gibt es viele aussagekräftige Statistiken.
Kinder, Jugendliche und junge Menschen aus ‚armen‘ Hintergründen haben es besonders schwer – denn ohne ausreichend finanzielle Mittel können Gesundheit, Bildung und Zukunft schnell leiden. Und das macht es häufig noch schwerer, der Armut zu entkommen.
Welche Folgen hat Armut?
Vielleicht sieht es auf den ersten Blick nicht so aus, aber ‚arm‘ zu sein, kann sich auf nahezu alle Lebensbereiche negativ auswirken. Denn, wer kein Geld hat, hat keine Wahl – es bleibt nur die günstigste Variante und das gilt für:
- Nahrung: wer sich nur das billigste leisten kann, leidet öfter an Mangelernährung und Nährstoffmangel. Vor allem bei Kindern kann sich das negativ aufs Wachstum auswirken – aber auch bei Erwachsenen kann eine schlechte Ernährung die Konzentration beeinträchtigen, müde und schlapp machen und vieles mehr.
- Wohnen: auch hier kann es sein, dass aus Geldmangel und aus Angst auf dem derzeitigen Wohnungsmarkt nichts mehr zu finden unhaltbare Zustände ertragen werden, bspw. Schimmelbefall, undichte Fenster oder Ähnliches. Das kann ebenfalls gesundheitliche Folgen nach sich ziehen ...
- Bildung: Bücher, Kurse, Schulausflüge, Museumsbesuche, jegliche Kulturveranstaltungen – das muss man sich auch leisten können. Wer keinen guten Zugang zu Bildung hat, hat es auch später mal beruflich schwerer.
- Medizinische Versorgung: natürlich haben wir ein halbwegs funktionierendes Gesundheitssystem und sind alle versichert, aber bei den meisten größeren Geschichten, bspw. Zahnprobleme oder chronische Erkrankungen, zahlen die Krankenkasse nur was mit dazu, den Rest müssen die Betroffenen selbst aufbringen – happig, wenn man die finanziellen Mittel nicht hat. Heißt: Arme Menschen werden zwar medizinisch versorgt, aber eben nicht mit den besten zur Verfügung stehenden Optionen. Außerdem leiden sie häufiger an psychischen Erkrankungen, was kein Wunder ist, denn viele von ihnen leben mit ständigen Zukunft- und anderen Ängsten.
- Fortbewegung: wer kein Auto hat, ist auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, was an sich kein Problem ist, wenn die auch fahren und sich an die Fahrpläne halten. Wir wissen aber, dass das oft nicht der Fall ist. Also geht viel Zeit für Pannen und Warterei verloren. Je nachdem wie viele (Neben-)Jobs man hat, kann auch das schnell sehr belastend und stressig werden und sich negativ auf die psychische Verfassung auswirken.
- Technik: v.a. in einem so technikzentrierten Zeitalter, ist es schwer mitzuhalten, wenn man sich nur die ältesten Versionen leisten kann. Es muss nicht immer das teuerste sein, aber auch bei Programmen und Systemen ist es privat und dann auch jobtechnisch von Vorteil am Ball zu bleiben. Und ohne Geld oder Connections ist das wirklich tricky.
- Kleidung: irgendwas zum Anziehen findet man immer, spätestens in Sozialkaufhäusern oder Kleidertauschpartys, klar. Aber mit dem äußeren Erscheinungsbild wird viel verbunden und Menschen, denen man ihre Armut auch an den Klamotten ansieht, werden oftmals sozial stigmatisiert und ausgegrenzt. Und einfach mal schickere Kleidung für ein besonderes Vorstellungsgespräch kaufen, ist häufig absolut nicht drin.
- Sozialleben: mal ins Café und mit Freund:innen reden, den neuesten Film im Kino ansehen, abends außerhalb Essen? Das geht einfach nicht. Natürlich gibt es auch kostenlose Freizeitaktivitäten, aber wer kein stabiles soziales Netzwerk hat, dem kann es schwerfallen am gesellschaftlich-sozialen Leben teilzunehmen, denn die meisten Dinge auf dieser Welt kosten Geld. In der Konsequenz sind arme Menschen vermehrt von Vereinsamung bedroht.
Das ist aber nicht alles, denn Armut hindert logischerweise daran, (Wohn-)Eigentum zu erwerben oder Rücklagen zu schaffen. Das heißt: das kleinste Unglück kann zur Katastrophe werden, bspw. die Waschmaschine geht kaputt oder man bekommt eine Nachzahlung. Wer kein Geld hat, ist auch stark gefährdet sich im Laufe seines Lebens zu verschulden, v.a., wenn mal etwas Ungeplantes passiert, für das man sofort finanzielle Mittel braucht.
Warum ist Armut ein Teufelskreis?
Wer einmal in die Armut abrutscht, hat ein großes Problem, denn v.a. aus eigener Kraft ist es schwer da wieder rauszukommen. Wieso ist das so? Ich gebe mal ein paar Beispiele:
Die Sache mit der Bildung
Es lernt sich als Kind, Jugendliche:r schlecht mit Geldsorgen, Hunger und Zukunftsängsten. Viele junge Menschen aus armen Familien schaffen den Schulabschluss gar nicht oder nur mit Ach und Krach. Sie haben Schwierigkeiten danach eine Ausbildung oder einen Job zu finden. Selbst wenn sie etwas finden, sind ihre Optionen begrenzt und die Bezahlung oft nicht gut. Damit ist ein Grundstein dafür gelegt, auch als Erwachsene:r in der Armutsfalle festzusitzen. Denn ohne richtigen Abschluss und ohne Ausbildung bleiben ihnen nur die Tätigkeiten mit Mindestlohn.
Selbst, wenn man es schafft als Kind/Jungeliche:r in der Schule gut zu performen: eine gute Ausbildung oder ein Studium muss man sich auch leisten können. Nicht jede:r wohnt an einem Ort, an dem jobtechnisch viel geboten wird oder der sich in der Nähe einer Uni befindet. Braucht man also schnell Geld, nimmt man das, was im Umkreis verfügbar ist, v.a. auch, weil umziehen selten infrage kommt. Das kann ebenfalls dazu führen, dass die Berufschance limitiert sind und man im Niedriglohnsektor stecken bleibt.
Schafft man es als junger Mensch aus ‚armen‘ Hintergründen an die Uni, hört das Problem hier aber nicht auf. Ohne Geld ist es schwer zu studieren. Zwar gibt es BAföG, Bildungskredite und Co. – aber alles außer ein Vollstipendium muss zurückgezahlt werden, oft mit Zinsen. Selbst wenn das Studium abgeschlossen ist, sind Studierende, die finanaziell durch Kredite aufstocken mussten erstmal verschuldet und müssen oft jahrelang Rückzahlungen leisten.
Und auch wenn man es schaffst ohne Startkapital und ohne Schulden zu studieren, hat man eine Doppelbelastung, denn man wird mit absoluter Sicherheit mindestens einen oder mehrere Jobs neben dem Vollzeitstudium wuppen müssen. Das ist stressig, lässt nicht selten die Studienleistung und die psychische Gesundheit leiden und kann dazu führen, dass manche hinwerfen.
Die Sache mit dem schnellen Geld
Wer keine finanziellen Mittel hat, aber sie dringend braucht, greift nicht selten zu einem Kredit. Das Problem hier ist: habe ich kein Geld und auch keine Aussicht auf Geld, kann ich den Kredit schlecht bis gar nicht zurückzahlen. Es kann schnell passieren, dass deswegen immer mehr Kredite aufgenommen werden, um die laufenden zu tilgen. Das führt zu einer Abwärtsspirale der Verschuldung, die häufig in einer Privatinsolvenz oder Schlimmerem endet. Je größer die Schulden, desto schwerer überhaupt jemals wieder aus der Armut rauszukommen.
Die Sache mit der Generations-Armut
Gründen Menschen aus den oberen beiden Beispiele eine Familie, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihre Kinder in Armut aufwachsen und deswegen später bildungstechnisch, beruflich, vielleicht auch gesundheitlich negative Folgen davon spüren werden. Und leider kann es genau deswegen auch sein, dass die Kinder der Kinder genauso leben werden – du merkst, worauf ich hinauswill.
Ohne die nötige finanzielle Unterstützung, Aufklärung, Hilfestellung und Co. ist es extrem schwierig einer ‚vererbten‘ Armut, ich nenn das jetzt mal so, zu entkommen. Es kann schnell zum Teufelskreis werden.
Wie aus der Armut rauskommen?
„Armut ist ein dynamischer Prozess und keine Eigenschaft.“, jedenfalls nach dem Bundesamt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Im Grunde lassen sich Prozesse ja stoppen, umkehren oder ändern, was hieße, dass auch Armut sich stoppen, umkehren oder ändern ließe.
Und das geht auch – es ist nur verdammt schwierig. Wir haben hier kein Wundermittel, das dazu führt, dass sich die Lebensumstände von dir oder Betroffenen über Nacht ändern werden, aber wir haben ein paar Tipps, die helfen können, entweder gar nicht erst in die Armutsfalle zu tappen oder sich rauszukämpfen:
- Investiere in Bildung: egal, ob du für eine bessere Ausbildung umziehen musst, eigentl. kein Geld fürs Studium hast oder dir die finanziellen Mittel für die Fort-/Weiterbildung fehlen – versuch es zu schaffen, mit Nebenjobs, mit Aushilfstätigkeiten, mit allem, was dir einfällt. Bildung ist teuer, aber sie ermöglicht dir für später bessere berufliche Qualifikationen und dadurch ein höheres Einstiegsgehalt. Je besser du in diesem Bereich aufgestellt bist, je mehr Chancen du deswegen job- und zukunftstechnisch hast, desto kleiner wird die Möglichkeit (wieder) in die Armut abzurutschen.
- Versuch schuldenfrei zu bleiben: vor allem zusammen mit Punkt zwei klingt das dumm, aber: versuch dir dein Geld irgendwie zu erarbeiten, sparsam zu leben, auf Fairteiler, Sozialkaufhäuser und Co. zurückzugreifen, wenn nötig, anstatt Kredite aufzunehmen. Bei einem Kredit musst du immer mehr zurückzahlen – und das wirst du nicht schaffen, wenn du schon vor der Aufnahme nichts hast. Nimm nur im absoluten Notfall kleine Beträge auf, die dringend überlebenswichtig (!) sind, halte dich sonst davon fern!
- Erarbeite dir ein finanzielles Fundament: wer kein Geld hat, muss arbeiten und wer dabei schlecht bezahlt wird, weil nur Aushilfsjobs oder ähnliches machbar sind, der muss noch mehr arbeiten. Versuch dir mehrere Jobs zu suchen, um abgesichert zu sein. Auch, wenn du wenig hast, raten wir dir ein bisschen was auf die Seite zu legen, damit ein kleiner Vorfall, Stichwort Waschmaschine, nicht zu großen Katastrophe wird.
- Nimm Hilfsangebote an: sowohl an der Uni als auch allgemein. Es gibt uniinterne Fonds, die pro Semester festgelegt und an bedürftige Studierende über Einmalzahlungen ausgezahlt werden können. Je nach Stadt gibt es Zuschüsse für Wohngeld, Vereine und Verbände, die bspw. günstiges bis kostenloses Essen oder finanzielle Beratung anbieten. Man sollte sich immer informieren, welche Hilfsangebote es in der eigenen Region gibt.
- Bleib dran und lass dich nicht demotivieren: das klingt bescheuert, ich weiß. Denn zu kämpfen, um zu überleben und sich dabei hochzuarbeiten ist extrem anstregend. Aber es geht gar nicht anders: man muss stark bleiben, an sich selbst glauben und einfach durchziehen. Und das über einen längeren Zeitraum – so kann man es aber schaffen.
Niemand ist gerne ‚arm‘, niemand kämpft sich gerne oder leicht aus der ‚Armut‘ frei, aber es ist möglich. Man muss auch nicht alleine durch und man sollte sich auch nicht schämen. Am Ende des Tages ist es nie verkehrt auch mal nach Hilfe zu fragen. Stay stong & good luck!
(bmz/destatis/Arte/aktion-deutschland-hilft/SALI)